Letztes Jahr habe ich zwei Beiträge über mein Leben mit Depression und sozialer Phobie verfasst. Es hat mich Mut gekostet und doch fühlte es sich befreiend an. Ich habe nicht mehr das Gefühl, mich dafür schämen oder es verstecken zu müssen.
Depression – wie fühlt es sich an?
Soziale Phobie – Leben mit Angststörung
Seit März letzten Jahres bin ich “depressionsfrei” und habe euch davon ein Update gegeben. Heute will ich euch davon erzählen, wie sich meine soziale Phobie verändert hat, denn mit dieser habe ich heute manchmal noch zu kämpfen.
Was hat sich verändert?
Wie sich vielleicht der ein oder andere erinnern kann, konnte ich in meiner schlimmsten Zeit nicht einmal vor anderen Menschen essen oder trinken. Es war mir unangenehm und das ist noch untertrieben ausgedrückt. Heute sitze ich im vollen Hörsaal, esse einen Müsliriegel oder sogar Reiswaffeln (und die machen manchmal einen Mordskrach, wenn man genüsslich reinbeißt). Ich kann sogar während der Vorlesung etwas trinken und es macht mir nichts aus, wenn die Plastikflasche Geräusche macht.
Letztes Jahr wäre all das unvorstellbar gewesen, denn ich könnte ja die Aufmerksamkeit auf mich ziehen, beobachtet und verurteilt werden. Heute weiß ich, dass sich wohl kaum jemand dafür interessiert, wenn ich etwas trinke oder esse. Schließlich sind das ganz normale Bedürfnisse.
An der Kasse im Supermarkt stehen
Auch das Bezahlen an der Kasse im Supermarkt war stets ein Gräuel für mich. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und meine Hände waren zeitgleich eiskalt, dann das Rumkramen im Geldbeutel und dazu meine Gedanken: Scheiße, ich muss schnell machen, sonst nerve ich die anderen. Sie starren mich an, scharren mit den Hufen.
Um also schnell aus dem Supermarkt flüchten zu können, habe ich meist mit Scheinen bezahlt. Selbst einen Beitrag über sechs Euro habe ich lieber mit einem Schein bezahlt, als nach Münzen zu suchen.
Alleine einkaufen gehe ich heute zwar immer noch nicht gerne, aber ich lasse mir Zeit beim Bezahlen. Ich krame nach Kleingeld oder setze mich nicht selbst unter Druck, wenn ich mit der Karte zahle. Ich sage demjenigen an der Kasse Tschüß und packe nicht in Hektik die Lebensmittel zusammen.
Was heute auch zu meinem Alltag als Blogger und Autor gehört, sind kleine Videos auf Instagram. Ja, tatsächlich. Ich hätte es selbst nie für möglich gehalten, aber ich nehme Videos von mir auf und stelle sie auf Instagram. Mir macht es sogar Spaß.
Menschen ansprechen
Auf andere Menschen zuzugehen oder gar in einer Gruppe zu reden, war eine Horrorvorstellung für mich. Zwar werde ich nie der Mensch sein, der andere von sich aus anquatscht, ABER ich habe in den letzten Wochen etwas getan, das mich selbst überrascht hat. Ich habe tatsächlich zweimal in der Uni Kommilitonen angesprochen! Es haben sich Gespräche entwickelt und plötzlich habe ich Mitstudenten, mit denen ich zusammen in der Veranstaltung sitze und mich unterhalte.
Ich habe zwar immer noch keine Ahnung, was da in mich gefahren ist und wie ich das angestellt habe, aber ich bin unfassbar stolz auf mich.
Schüchtern und trotzdem glücklich
Die soziale Phobie ist mal mehr und mal weniger präsent in meinem Alltag. Es gibt Situationen, in denen ich es nicht schaffe, gegen sie anzukommen. Aber das ist in Ordnung, denn es verschwindet nicht von heut auf morgen und ist genauso ein Kampf wie gegen die Depression.
Das Schüchternsein hingegen ist ein Charakterzug von mir, den ich nicht mal ändern möchte. Die soziale Phobie hingegen schon. Ich weiß, dass ich auf einem guten Weg bin und es schaffen kann.
Ich hoffe, ich kann mit meinem Beitrag dem ein oder anderen helfen und ermutigen. Vielleicht seid ihr in einer ähnlichen Situation und alles erscheint euch ausweglos. Aber ich weiß, dass ihr es schaffen werdet. Ihr werdet den Kampf gewinnen.