Die siebzehnjährige Annika kann sich nicht mit ihrem Körper identifizieren – sie kam als Junge zur Welt.
Da sie sich nicht länger verstecken möchte, entscheidet sie sich, ihren Körper angleichen zu lassen. Doch dieser steinige Weg wirft sie immer wieder in depressive Löcher, aus denen die Flucht nur mit fremder Hilfe möglich ist. Ihre beste Freundin Emily ist die einzige, die sie dabei unterstützt und ihr im Alltag zur Seite steht. Sei es beim Mobbing in der Schule, oder der gesellschaftlichen Ablehnung.
Eines Tages verlieben sie sich ineinander. Doch aus einem bestimmten Grund möchte Emily nicht über ihre Freundschaft hinausgehen. Der gemeinsame Kampf um die Liebe rückt schließlich in den Hintergrund, da nun jede ihre eigene Schlacht zu schlagen hat. Trotzdem halten sie zusammen, denn am Ende haben sie beide dasselbe Ziel:
das Leben.
(Quelle: Twentysix)
Ein großes Dankeschön an Kim Becky und Twentysix für das Rezensionsexemplar! Meine Meinung wurde dadurch nicht beeinflusst.
Ehrlich gesagt, bin ich immer noch ziemlich verblüfft, erstaunt, überrascht. Und da fängt es schon an: Ich werde wahrscheinlich nicht die richtigen Worte finden, um zu beschreiben, was dieses Buch mit mir gemacht hat. Aber ich beginne mal am Anfang: Wenn man den Klappentext durchliest, weiß man, dass es um ein sensibles Thema geht, das heute in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert wird. Es geht um Annika, die zwar als Junge geboren wurde, aber sich nie als solcher gefühlt hat – sie ist ein Mädchen. Kurzum: Transidentität.
Du fragst dich jetzt: “Was ist das denn?”
Die Autorin Kim Becky berichtet auf ihrer Homepage über ihre Transidentität und hat beschreibt es ganz kurz und knackig so: “Transidentität bedeutet, dass ich schon von der Zeugung an weiblich war, aber durch einen Gendefekt einen männlichen Körper bekam.”
Hört sich simpel an, oder? Tja, aber der Weg, den die Protagonistin Annika geht, um auch von ihrer Umwelt als Frau wahrgenommen und akzeptiert zu werden, ist das ganz und gar nicht. Ich war unheimlich gespannt, wie die Autorin die Geschichte angeht und hatte ziemlich hohe Ansprüche. Ich habe so sehr gehofft, dass sie eine Geschichte schafft, die das Thema der Transidentität so anpackt, dass ich nicht nur weiß, sondern auch fühle, was die Protagonistin durchmacht. Natürlich kann ich das als Leser nicht hunderprozentig verstehen, weil es mir nicht so geht, aber ich wollte einen Blick in die Welt von Annika bekommen. An dieser Stelle eine Warnung: Die Rezension könnte etwas länger ausfallen als sonst, da mir das Thema sehr am Herzen liegt. Wenn ihr einfach nur wissen wollt, ob das Buch lesenswert ist, scrollt am besten zum Fazit.
Jedenfalls habe ich die ersten Seiten gelesen, in denen die Autorin die “Depriphase” von Annika befreit. Es fühlt sich an wie ein Loch, das sie immer tiefer verschlingt und ihr die Kraft nimmt. Diese Zeilen haben mich so sehr berührt und ich konnte mich darin so wiederfinden. Ich habe weitergeblättert und geblättert und konnte nicht mehr aufhören. Zwar musste ich mich anfangs an den Schreibstil gewöhnen, aber je mehr ich las, desto mehr habe ich mich in der Geschichte verloren.
“Ich bringe es nicht fertig, ihn auszusprechen. Denn das bin ich nicht. Das hier bin ich: Annika Grace, eine Frau.”
Seite 185
Der einzige Mensch, der zu Annika steht, ist ihre beste Freundin Emily. Denn ihre Mutter kann bisher nicht akzeptieren, dass ihr Sohn nun ein Mädchen ist, obwohl sie das schon immer war. In der Schule muss Annika sich auch dämliche Sprüche anhören und das alles nagt an ihrem Selbstbewusstsein, lässt ihre Selbstzweifel und Ängste wachsen.
Starren die anderen mich an?
Sehen sie, dass ich eigentlich den Körper eines Jungen haben?
Was denken sie über mich?
Kim Becky hat unglaubliches Feingefühl bewiesen, zu zeigen, wie sehr diese Gedanken und Ängste den Alltag von Annika einnehmen. Sie glaubt nicht an sich, der Weg zum Supermarkt oder die Busfahrt sind ein Graus. Denn jemand könnt bemerken, dass sie “noch nicht ganz” eine Frau ist. Doch ihre beste Freundin Emily steht ihr immer zur Seite, gibt ihr Kraft und Mut. Während dem gemeinsamen Urlaub auf Sylt erleben die beiden Mädchen eine unbeschwerte Zeit, die sie näher zusammenbringt, als sie zuvor gedacht haben. Der Zusammenhalt der besten Freundinnen wird stärker, aber auch Annikas Selbstbewusstsein. Sie lacht, sie freut sich, sie hat endlich mal wieder Spaß. Wer eine Freundin wie Emily hat, kann sich wahnsinnig glücklich schätzen. Denn auch wenn Annikas Selbstzweifel die Oberhand gewinnen, gibt sie nicht auf. Das ist einfach bewundernswert.
Doch dann geschieht etwas schreckliches und die Freundschaft und Liebe der beiden Mädchen wird auf eine harte Probe gestellt. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich mit Annika gelitten, gehofft und gekämpft habe. Mein Herz ist ein Stück zerbrochen und ich weiß gar nicht, wie Kim Becky das in der Fortsetzung (als ich das am Ende gelesen habe, habe ich mich so gefreut!) wieder gut machen will.
Während der Handlung habe ich gemerkt, wie sehr Annika an allem gewachsen ist. Auch wenn sie hin und wieder Tage hat, an denen alles ausweglos erscheint, hat sie wieder zurückgefunden. Vor allem aber hat sie sich selbst gefunden: Annika Grace. Als Leser nehmen wir all ihre Gefühle war. Wenn sie an sich zweifelt, Angst vor den Blicken anderer hat oder glaubt, es macht alles keinen Sinn. Wir gehen den steinigen Weg mit Annika, um am Ende einen wunderschönen See vorzufinden.
Schön war auch zu sehen, dass nicht alle Mitmenschen negativ auf ihr “Outing” reagieren, aber auch, dass manche Menschen einfach nur Zeit brauchen, um zu akzeptieren und verstehen.
Mein Statement: Wisst ihr, ich habe schon einige Dokumentationen über Transidentität und Transgender gesehen (ich hoffe, ich verwende hier einigermaßen die richtigen Begriffe, falls nicht, berichtigt mich) und weiß, dass die Wege der Menschen oftmals lang und schwer sind. Was ich jedoch in keinster Weise verstehen und tolerieren kann, ist das Unverständnis mancher Menschen. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben zu leben und wenn der/diejenige im falschen Körper geboren wurde, dann hat er ebenso das Recht, das zu ändern. Was wäre das Leben, wenn wir nicht selbst darüber entscheiden dürfen? Richtig, kein Leben.
Kim Becky hat eine unfassbar schöne, nachdenkliche, traurige, aufklärende Geschichte geschaffen. Sie hat die Thematik auf sehr einfühlsame, sensible Art und Weise geschildert und ich hoffe, dass noch viel mehr Menschen es geht nicht immer nur um dich! lesen werden. Lest es, fühlt das, was Annika fühlt, hört auf die Menschen zu verurteilen. Wir sind alle unterschiedlich, anders glücklich, anders traurig, anders komisch, anders wütend. Und das ist gut so.
Ich muss ja nicht dazu sagen, dass ich dieser wundervollen Geschichte 5 von 5 Herzchen gebe, oder?
P.S.: Wenn ihr mehr über Kim Becky oder ihre Transidentität wissen wollt, schaut auf ihrer Homepage vorbei. Es ist definitiv mehr als nur einen Blick wert.